Verjüngungsschnitt im Streuobst

Wer aufmerksam durch unsere Mittelgebirgslandschaften geht oder fährt, der kann nicht übersehen, dass in den Streuobstwiesen häufig überalterte Bäume zu finden sind. Deren Äste wachsen bogenförmig nach unten, abgestorbene Astpartien oder Astbruch sind keine Seltenheit. Streuobstbäume, alte und junge, sind regional unterschiedlich zum Teil stark mit Misteln besetzt. Oft werden junge Bäume in die Bestandslücken gepflanzt, was zwar belegt, dass die Anlage (wieder) bewirtschaftet wird, aber Nachpflanzungen lösen nicht das Problem der „Veteranen“. Deren Vitalität muss unbedingt gestützt und erhalten werden, wenn Streuobstwiesen wichtige Brenn- und Mostobstlieferanten bleiben sollen und man die ökologische Wertigkeit dieser landschaftsprägenden Obstbestände nicht verspielen will. (Abb. 1 und 2).



Abb. 1 und 2: Streuobstwiesen, ungepflegt, mit Mistelbewuchs

Alte Obstbäume kann man verjüngen
Diese Ziele lassen sich erreichen, wenn man durch gezielte Schnittmaßnahmen ältere Bäume einer Ver- jüngungskur unterzieht. Die Abbildungen 3 und 4 zeigen, wie z.B. ein Apfelbaum nach einem solchen Verjüngungsschnitt aussehen kann und soll.



Abb. 3 und 4 Streuobstbaum vor und nach dem Schnitt


Man sägt dabei zuerst kranke und abgestorbene Äste heraus und entfernt größere Astpartien aus dem Kroneninneren, so dass wieder Licht in die Krone gelangt und gleichzeitig die Krone - falls nötig - wieder gleichmäßig geformt wird. So ein Schnitt verringert also vorrangig die Holzmasse, nicht das
Baumvolumen.



Diese Maßnahme darf nur während der Vegetations- ruhe durchgeführt werden, das ist im Winter bzw. im ausgehenden Winter und zwar möglichst bei be- decktem Himmel und frostfreien Temperaturen.

Derart verjüngte Bäume müssen noch etliche Jahre pfleglich nachbehandelt werden, bis sich das
Gleichgewicht zwischen Wurzel und Kronen- volumen wieder eingespielt hat.

Wenn so umfangreiche Schnittmaßnahmen
anstehen, fragt sich mancher Obstbaumbesitzer, was er denn eigentlich (weg-) schneiden soll. Deshalb gibt die Abb. 5 eine Aufstellung wichtiger Fachausdrücke wieder, die im Zusammenhang
mit Obstbaumschnitt üblich sind. Die Skizze soll die Zuordnung der verschiedenen Knospen und
Trieb-/Ast-Typen am Baum erleichtern

Abb. 5 Trieb- und Knospenarten bei Obstgehölzen (nach Friedrich/Preusuße, Obstbau in Wort und Bild)







Starke Äste entfernen
Dafür muss die Säge eingesetzt werden, die gut gepflegt sein und glatt schneiden muss, denn ausgefranste Wunden verheilen schlecht und sind Eintrittspforten für Krankheitserreger. Außer vom guten Werkzeug hängt der Erfolg der Maßnahme auch von der Einhaltung der richtigen Reihenfolge
der Arbeitsschritte ab. Als oberstes Gebot bei starken Ästen nie von oben her sägen, weil dies unweigerlich zum Abbrechen und/oder Splittern führen würde. Dadurch würde die Wunde unnötig vergrößert. Die Arbeitsschritte zeigt die Abb. 6


Abb.6: Arbeitsschritte Schnittführung

auf. Der zu entfernende Ast wird von unten her, etwa handspannenbreit entfernt von der angestrebten Schnittstelle, bis zur Mitte des Astes eingesägt. Dann sägt man einige Finger breit neben diesem Einschnitt, und zwar auf der dem Stamm abgewandten Seite, von oben her den Ast an. Er wird bald abbrechen. Nun kann der Aststumpf auf den Astring glatt abgesägt werden. Nachdem auf Astring glatt abgesägt wurde, kann die Wunde mit einem scharfen Baumschulmesser geglättet und an- schließend flächig mit einem Wundverschlussmittel verstrichen werden (Abb. 7).


Abb.7: Behandlung der Schnittwunde

Beim Abtrennen von Ästen darf man nie in den Stamm „hineinschneiden“, weil dadurch gerade die Zellschichten zerstört bzw. entfernt würden, die später durch ihr Zellteilungswachstum die Wundüberwallung, den Kallus, entstehen lassen sollen. Falsch wäre es auch, Aststummel stehen zu lassen ( in Abb. 7), denn sie können nicht von Kallus überwallt werden und sind somit immer eine Gefahrenquelle für Krankheiten. Richtig ist also ein knapper Astring, der sicherstellt, dass beim natürlichen Wundtrocknungs- und Wundabheilungsprozess weder eine Stammvertiefung entsteht noch ein Aststummel übersteht.

Beim Schnitt ist Obstbaum nicht gleich Obstbaum
Obstbäume, vor allem Hochstämme, leben länger und bleiben jünger, wenn sie angemessen gepflegt und bei Bedarf auch geschnitten werden. Meistens werden Pflanz- und Erziehungsschnitt sorgfältig beachtet. Aber wenn der Erhaltungs- oder gar Verjüngungsschnitt ansteht, ist das Interesse an der Baumpflege oder sogar am Baumerhalt nicht selten erloschen. Oft ist Besitzer- oder Generationswechsel der Auslöser für die Runderneuerung einer Obstbaumwiese.

Beim Verjüngungsschnitt ist zu beachten, dass
  • für Kernobst der Spätwinter der günstigste Zeitpunkt für einen Verjüngungsschnitt ist
  • Süßkirschen und Walnüsse am besten im Spätsommer zurück schneiden, weil bei diesen Obstarten die Wundverheilung im Winter nicht so gut abläuft.
Die Kronenform ist ebenfalls Obstarten-typisch und sollte selbst bei starken Schnitt- und Sägeeingriffen erhalten bleiben. Der Apfelbaum zeichnet sich durch eine breit-rundliche Krone aus, während die Birne steil nach oben und je nach Sorte etwas überhängend wächst. Beim Steinobst wirkt die Krone straff, dicht und kegelförmig. Gelegentlich fallen selbst Obstsorten durch eine besonders charakteristische Kronenform auf. Bekanntes Beispiel ist sicher die Apfelsorte ‘Boskoop‘ (eigentlich: ‘Schöner von Boskoop‘): sehr starker Wuchs, breit ausladende Krone, flach stehende Leitäste; Früchte vorwiegend am langen Fruchtholz. Wenn beim ‘Boskoop‘ nicht Jahr für Jahr gebunden und geschnitten wird (nicht geschnippelt!!), trägt er nur alternierend, alle zwei Jahre. Anders verhält sich der ‘Golden Delicious‘, eine schwachwüchsige Sorte mit rundlicher feingliedriger Krone:
‘Golden Delicious‘ trägt vorwiegend am kurzen Fruchtholz, und bei regelmäßig starkem Schnitt auch zuverlässig in jedem Jahr; meistens empfiehlt sich sogar eine Fruchtausdünnung, damit die Äpfel nicht zu klein bleiben.
Das richtige Werkzeug ist Voraussetzung für das Gelingen der Arbeit:Schere oder Säge – auf die Zweigdicke bzw. Aststärke kommt es an!

Ziel, Grundregeln und Vorgehensweise für den Obstbaumschnitt
  • Kronen-Verjüngung, um Luft und Licht in den Baum zu bekommen.
  • Äste in gesundes Verhältnis bringen (1/3 Gerüstäste, 1/3 Neutriebe, 1/3 Blütenholz).
  • Der Baum wird vitaler im Wuchs, weniger gefährdet für Pilzbefall und die Früchte können besser ausreifen.
  • Die Schnittstelle ist sorgfältig auszuwählen, denn dadurch wird bestimmt, ob z.B. Blütenknospen zur Entwicklung kommen, ob schlafende Augen zum Austreiben angeregt werden, ob wieder Licht in die Krone gelangt.
  • Ist der Baum gesund? Erst prüfen, dann schneiden!
  • Der Baum muss fest verwurzelt sein (darf beim Rütteln am Stamm nicht wackeln), vom Gesamthabitus (im Vergleich mit seinen Nachbarn) einen guten Eindruck machen.
  • Der Haupttrieb wird stark gekürzt und dabei dessen Saftstrom auf einen zentral und senkrecht wachsenden Nebentrieb umgelenkt. Dieser Nebentrieb sollte nicht eingekürzt werden.
  • Tote und kranke Zweige werden herausgeschnitten.
  • Triebe, die in Richtung Erde wachsen, kommen weg.
  • Im Schatten von anderen Zweigen wachsende Triebe werden weggeschnitten.
  • Konkurrenztriebe werden nicht geduldet, wenn möglich auf schwächeren Trieb schneiden.
  • Die ganze Krone soll luft- und lichtdurchflutet sein: Alles, was dem im Weg steht, muss sinnvoll herausgeschnitten werden.
  • Lange Triebe werden auf nächstmöglichen Seitentrieb eingekürzt, so dass eine vernünftige Kronenform und Neuverzweigung entstehen kann.
  • Kraftraubende neue Wasserschosse (ohne Zukunft) werden am Ansatz Ende Mai, Anfang Juni entfernt.
  • Bei aller Vielseitigkeit der Schneidwerkzeuge: wichtig ist, dass sie stets gut gepflegt sind und sauber schneiden.
  • Weil Wunden hinterlassen werden, die Eintrittspforten für Krankheitserreger sein können, ist die Wundversorgung sicherzustellen, d.h. Schnittflächen sind bei Bedarf nachzuglätten (siehe Abb. 7) und gegebenenfalls mit einem Wundverschlussmittel zu verstreichen.
  • Baumform, Baumalter, Obstart, ja sogar Obstsorten, verlangen jeweils individuellen Schnitt.
  • Jeder Baum ist gesondert zu betrachten und zu behandeln!
    Jürgen Schmidt, DLR-Rheinpfalz, Trier
    Foto und Zeichnungen: Jürgen Schmidt

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