Junge, einjährige VeredlungVeredlungsstelle bei einem Altbaum

Filsener Goldperle

Die 'Filsener Goldperle' entstand zufällig in einer Hecke

Sortenentstehung und –verbreitung

Was ist eine Sorte?
Ein Obstbaum besteht i.d.R. aus zwei Pflanzen: Der sogenannten Unterlage und der darauf veredelten "Edelsorte". Als Unterlage werden bei Hochstämmen meist Sämlinge von Wildkirschen verwendet, die traditionell in der gewünschten Stammhöhe als sogenannte Kopfveredlungen gepfropft wurden. Die Technik der Veredlung soll schon bei den alten Griechen praktiziert worden sein. Dabei werden einjährige Triebe (Reiser) der Edelsorte so mit der Unterlage verbunden, dass die Triebe beider Pflanzen zusammenwachsen. Diese Veredlungsstelle ist oft selbst bei alten Bäumen sichtbar. Sorten sind daher letztendlich Klone einer Art, die nur vegetativ vermehrt werden können.
Was passiert aber, wenn ein Kirschstein auf die Erde fällt und keimt?
Kirschen sind i.d.R. Fremdbefruchter, das bedeutet, eine Sorte kann nur durch den Pollen einer anderen Sorte befruchtet werden. Und nicht jede Sorte kann mit jeder anderen: Die Sorten werden in sogenannte Intersterilitätsgruppen unterteilt, wobei sich Sorten derselben Gruppe untereinander nicht befruchten können.
Der Samen in einem Kirschstein beinhaltet daher Erbanlagen der Vater- und Muttersorte, was bedeutet, dass auch der entstehende Baum Eigenschaften beider Sorten aufweist. Letztendlich entsteht aus jedem Kirschstein wieder eine eigene, neue Kirschsorte. Leider vermehren sich nicht nur die positiven Eigenschaften. Bei der gezielten Züchtung, bei der ausgewählte Sorten miteinander gekreuzt werden, werden hunderte von Sämlingen ausselektiert, um am Ende eine Sorte mit den gewünschten Eigenschaften zu erhalten.
Die im Mittelrheintal verbreiteten alten Sorten sind wohl alle als Zufallssämlinge entstanden. Sie wuchsen zufällig in Hecken oder an Gartenrändern, bis ein Gärtner oder ein Obstbauer auf die besondere Qualität ihrer Früchte aufmerksam wurde. Dann nahm er Reiser des Baumes und veredelte sie auf Wildlingsunterlagen. Trug der Baum schöne Früchte, war er gesund und wüchsig, wurden bald auch Bekannte und Nachbarn auf die neue Sorte aufmerksam. So verbreitete sie sich in der Region. Hatte der Obstbauer Kontakt zu Kollegen in anderen Regionen, wurden die Sorten oft auch dorthin gesandt. Je nachdem, wie sie sich in der neuen Umgebung bewährten, wurden sie z. T. auch dort zum "Verkaufsschlager". Auch Empfehlungslisten der regionalen Landwirtschaftskammern trugen seit der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts dazu bei, bewährte Sorten weiter zu verbreiten. Einige der heute noch am Mittelrhein vorhandenen Sorten stammen ursprünglich aus ganz anderen Regionen. So z. B. 'Büttners Rote Knorpel' aus dem ehemaligen mitteldeutschen Anbaugebiet bei Halle, 'Schneiders Späte Knorpel' aus Guben a. d. Neiße an der heutigen polnischen Grenze oder 'Teickners Schwarze Knorpel' aus der östlichen Harzregion.
Warum einzelne Sorten stark verbreitet wurden und andere nur auf die Region beschränkt blieben, war wohl stark vom Zufall abhängig. Teilweise mögen sie sich in anderen Gegenden nicht so bewährt haben, oft aber waren sie einfach nicht über ihre Region hinaus bekannt. Anscheinend hing die Verbreitung auch stark von den Aktivitäten der Obstbauern und Pomologen in den einzelnen Regionen ab. So fanden Sorten aus den o. g. Regionen von Guben a.d. Neiße oder dem mitteldeutsche Anbaugebiet meist schnell Eingang in die pomologische Literatur und dann auch in die Sortenempfehlungslisten, so dass sie rasch weiter verbreitet wurden. Sorten aus anderen Regionen wie z. B. aus Süddeutschland oder auch aus dem Mittelrheingebiet haben dagegen kaum eine Verbreitung über ihre Ursprungsregion hinaus gefunden. Dadurch sind sie aber auch stärker gefährdet als ihre heute überregional verbreiteten Cousinen. Verschwinden sie in ihrer angestammten Region, sie sind insgesamt vom Aussterben bedroht. Daher tragen die Regionen für ihren regionalen Sortenschatz auch eine besondere Verantwortung. Die Mittelrheinsorten wurden in Sortimentsgärten gesichert und Veredlungsmaterial an Baumschulen abgegeben, um die Verbreitung der Sorten wieder zu fördern.

Zufällige Entstehung neuer Sorten heute: Beispiel Filsener Goldperle
Auch heute noch entstehen zufällig neue Sorten, die man entdecken kann, wenn man aufmerksam durch die Landschaft geht. Wie z. B. die "Goldperle von Filsen": Vermutlich von Vögeln verbreitete Kirschsteine keimten in einer kleinen Hecke bei Filsen. Bei den örtlichen Kartierungsarbeiten fiel der Baum durch reingelbe Kirschen auf, die nach allen anderen Süßkirschen reifen. Wenn auch die Fruchtgröße mit modernen Sorten nicht konkurrieren kann, so ist doch eine so spät reifende, reingelbe Sorte eine interessante Alternative für den Liebhaber, der das besondere sucht und die Kirschsaison verlängern möchte.